Ein Wolkenfusselchen wirbelt sanft durch den Himmel. Immer wieder fliegt es zu dem Engelchen Cilli, das mit ihrem blonden Lockenkopf friedlich auf einer Wolke schläft. Es kitzelt sie kurz an der Nase und wird dann mit ihrem Ausatmen wieder in die Luft geschleudert. Gleich darauf fällt die weiße Flocke wieder zurück und kitzelt sie schon wieder. Cilli kratzt sich an der Nase. „Was ist denn, ich will schlafen!“ Aber das kleine Wolkenteilchen gibt nicht auf und tanzt auf Cillis goldenen Sommersprossen herum.

Endlich dreht sich Cilli um, reibt sich die Augen und endlich / endlich setzt sie sich auf. „Schon gut, Fusselchen, ich steh schon auf!“ Sie hatte Nikolaus zu den Kindern nach Döbling begleitet und war von dieser aufregenden Reise sehr erschöpft. So erschöpft, dass sie sofort, nachdem Nikolaus sie auf ihrer Wolke abgesetzt hat, eingeschlafen war.

Aber jetzt ist sie wieder wach und in fröhlicher Weihnachtslaune! Sie hüpft noch, wie jeden Morgen so lange auf ihrer Wolke auf und ab, bis ihr Engelskleidchen keine Schlaffalten mehr hat. „Fertig und los! Es gibt noch sehr viel zu erledigen.“

In der Adventszeit sind immer viele, viele Hilfsengelchen im Auftrag des Christkinds unterwegs. Es gibt

/ welche, die Wunschzettel einsammeln,
/ welche, die Geschenke einpacken,
/ welche, die Christbäume schmücken,
/ welche, die Kinder beobachten,
/ welche, die armen Menschen helfen,
/ welche, die mit Glöckchen läuten,
/ welche, die Weihnachtslieder singen
/ und noch viele weitere mehr.

Cilli ist so ein Hilfsengelchen. Sie hat jedes Jahr die Aufgabe, auf die Erde zu fliegen / ihr wurde der 19. Wiener Bezirk zugeteilt / und herauszufinden, ob dort alle Kinder brav und freundlich sind. Oder ob das vielleicht nicht so ist. Das berichtet sie dann dem Christkind!

Cilli ist also in Döbling unterwegs. Sie fliegt von Haus zu Haus und von Kind zu Kind. Mal sitzt sie mit Vincents Familie am Frühstückstisch der Nussdorfer Wohnung, mal mit Tanja in der Garderobe des Grinzinger Kindergartens, mal bei der 3c im Klassenzimmer der, Sieveringer Volksschule, mal mit Lenny und Amelie auf der Krottenbachstraße, mal bei den Obermayers im Auto, mal am Sonnbergmarkt, im Bus 39A, am Weihnachtsmarkt im Türkenschanzpark, eigentlich ist sie überall. Natürlich kann niemand sie sehen. Engel sind ja unsichtbar! Obwohl … wenn Cilli sich freut, dann funkeln ihre goldenen Sommersprossen! Aufmerksame Kinder können sie dann doch sehen.

Gerade sitzt Cilli auf einer Mauer im Schulhof und beobachtet dort Tim und Daniel. Die beiden spielen gegeneinander Fußball und Cilli weiß ganz genau, dass die beiden bald streiten werden und dann muss sie dem Christkind wieder von Schimpfwörtern wie „Blödmann“ oder „Vollidiot“ berichten. Das kann Cilli gar nicht leiden. Und das Christkind übrigens auch nicht.

Cilli denkt nach. Es ist doch jedes Jahr das Gleiche: Jedes Jahr gibt es Kinder, die nicht lieb sind. Manchmal auch gemein. Viele Kinder sogar. Und jedes Jahr streicht das Christkind dann Wünsche vom Wunschzettel. Kann man nicht einfach alle Kinder dazu bringen, lieb zu sein?

Tim und Daniel sind gerade kurz vorm Tor und kämpfen wie wild um den Ball. Tim versucht den Ball wegzuschießen, aber sein Gegner ist perfekt in der Abwehr und zielt in die entgegengesetzte Richtung. Aber da blockiert Tim nun wieder. „Mann!“ Daniel reicht es. Cilli spitzt schon die Ohren. Gleich geht der Streit los, sie weiß es genau! Daniel packt Tim an seiner Jacke und zieht ihn nach hinten. Damit hat er freien Schuss auf den Ball und … zack! „Tooor! Tooor!“ Das war echt hinterlistig. Doch Daniel freut sich und reißt die Arme hoch. „Du spielst total unfair!“ ruft Tim, er kocht vor Wut! Doch Daniel lacht ihn auch noch aus. „Haha! Komm doch her, wenn du dich traust!“

Jetzt muss Cilli was tun, wenn sie nicht will, dass sich die beiden Buben in Kürze gegenseitig verprügeln. Mit einem Satz springt Cilli von der Mauer auf die Schulter des Torschützen. Sie schlingt ihre kleinen Arme um seinen Hals und kuschelt sich ganz fest an ihn. Obwohl Cilli ja nur so groß ist wie ein Schokoladen-Nikolaus, kann sie ihn so fest drücken, dass er statt ‚Feigling’ nur ein ‚Fffing’ herausbekommt. Denn Daniel spürt auf einmal so eine angenehme Wärme in der Halsgegend. Er will Tim noch ein Wort zurufen, in dem ‚blöd’ und ‚Mann’ vorkommt. Zu hören ist aber nur ‚Bbbbmnn’. Warum kann er plötzlich keine Schimpfworte mehr aussprechen? Die Wärme, die er da spürt, breitet sich immer mehr aus – vom Hals zum Kopf und auch zu den Schultern hin. Es brodelt so angenehm in ihm, als würde er herzlichst umarmt werden.

Er weiß gar nicht, dass er mit seinem Gefühl absolut richtig liegt. Denn Cilli gibt alles. Cilli umarmt ihn so fest und denkt dabei nur an seine guten und tollen Eigenschaften! Wie er jeden Morgen für seine kranke Nachbarin die Zeitung vom Briefkasten holt und vor ihre Tür legt, damit sie keine Treppen steigen muss. Wie nett er jeden Morgen die Bäckerin begrüßt. Wie er die Kohlmeise mit dem gebrochenen Flügel versorgt. Wie er seiner kleinen Schwester die Rechenaufgaben erklärt. Bei all diesen guten Gedanken presst Cilli ihren Lockenkopf ganz fest an Daniels Hals.

Daniel entspannt sich dabei und es überkommt ihn ein regelrechtes Glücksgefühl. „Hey Tim, es tut mir leid, das war echt nicht fair von mir.“, entschuldigt sich Daniel nun bei Tim. „Es steht wieder 0:0, in Ordnung?“ Tim sieht seinen Freund verblüfft an. „Na klar, lass uns weiterspielen!“

„Es hat geklappt! Es hat tatsächlich geklappt!“ Cilli hüpft wieder auf die Mauer und tanzt aufgeregt herum. Sie freut sich so sehr, dass ihre Sommersprossen ganz hell glitzern und funkeln. Tim und Daniel könnten es sehen, wenn sie nicht schon wieder so in ihr Fußballspiel vertieft wären.

„Jetzt weiß ich, wie es geht, dass alle Geschenke bekommen! Das mach ich jetzt bei jedem Kind. Und auch gleich bei den Erwachsenen!“ Fröhlich springt Cilli von der Mauer und fliegt direkt in das Klassenzimmer der 2a. Ja, bis Weihnachten hat sie noch viel vor. Aber sie ist fest überzeugt:

„Das Christkind wird sich wundern, warum es dieses Jahr sooo viele Geschenke nach Döbling bringen darf!“